Alarmierend: Kontrolleure warnen vor gefährlicher Dominanz im Streaming-Bereich

Streaming & Co.: Medienwächter warnen vor bedenklicher Machtkonzentration

In ihrem siebten Generalbericht gibt die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) Entwarnung für den Bereich des Privatfernsehens. Doch für den Online-Bereich, insbesondere den Streaming-Markt, sieht der KEK-Vorsitzende Georgios Gounalakis bedenkliche Tendenzen. Die Machtkonzentration im Streaming-Bereich könnte gefährliche Ausmaße annehmen und zu einer Vorherrschaft bestimmter Anbieter führen. Die KEK fordert daher dringend eine genauere Überwachung dieses Bereichs, um eine faire und demokratische Medienvielfalt zu gewährleisten.



Auf den ersten Blick hat sich seit dem vorausgegangenen, damals noch etwa 600 Seiten umfassenden Konzentrationsbericht von 2018 im TV-Sektor nichts wesentlich verändert: Beim bundesweiten Privatfernsehen sind weiterhin die Sendergruppen RTL und ProSiebenSat.1 klar dominant. Diesen steht bezogen auf die Zuschaueranteile ein noch stärkeres öffentlich-rechtliches Programmangebot gegenüber.



Auf die große Zahl der übrigen bundesweiten Sender entfallen insgesamt nur rund zehn Prozent der Anteile der Fernbedienungsnutzer. Die altersbezogene Analyse zeigt aber einen deutlichen Wandel in der Mediennutzung, insbesondere in jüngeren Altersgruppen. Klassische Medienangebote wie lineares Fernsehen und noch stärker die Tageszeitungen verlieren hier zunehmend an Nutzungszeit und Zuschauern beziehungsweise Lesern. Beide Gattungen spielen bislang eine wichtige Rolle bei der Informations- und Nachrichtenvermittlung.



Einfluss auf die Meinungsbildung


Von der Veränderung profitieren vor allem Video-Streaming-Dienste und weitere Online-Angebote: Insbesondere Vermittlern wie Suchmaschinen und sozialen Medien kommt ein hoher Einfluss auf die Meinungsbildung zu.



Laut dem neuen Bericht gibt es hierzulande 21 öffentlich-rechtliche und über 200 private Programme. Dazu kommen etwa Teleshopping-Sender teils mit ausländischer Lizenz sowie regionale Programme. Rechnet man die Angebote ihren jeweiligen Sendergruppen zu, dominiert die Öffentlich-Rechtlichen mit einem Zuschaueranteil von insgesamt 49 Prozent im Jahresdurchschnitt 2020. Die RTL-Mediengruppe erreicht 22,4 Prozent, die ProSiebenSat.1-Gruppe 17,2 Prozent.



Jüngere streamen


Im Durchschnitt sei die klassische Fernsehnutzung nach wie vor hoch, erläutert Gounalakis. Lineares Fernsehen sei vor allem ab 60 Jahren gefragt, die Jüngeren setzten aber ? teils fast ausschließlich ? auf Streaming. Dieses sei bei der "Wirkmacht" in Punkten wie Suggestivkraft und Breitenwirkung mit dem klassischen TV mittlerweile vergleichbar. Die KEK beschreibt Streaming-Dienste so "als disruptive Kraft im Bewegtbildmarkt".



Seit 2014 habe "eine erdrutschartige Bewegung zulasten der linearen Fernsehsender und zugunsten der Streaming-Plattformen eingesetzt". Dominierend ist dabei Netflix mit rund 27 Millionen Nutzern und einem Anteil von 38,5 Prozent gefolgt von Amazon Prime mit 24,5 Millionen Usern. Schon 2019 verbrachten die deutschen TV-Zuschauer mehr Zeit mit Netflix als mit irgendeinem TV-Sender oder sonstigem Anbieter von audiovisuellen Inhalten.



Mit einer Nutzungsdauer von insgesamt 38 Minuten, die 14- bis 29-Jährige täglich mit Videos auf YouTube verbringen, könnte auch die Google-Tochter bald das Fernsehen überholen. Dieses Wachstum ist laut den Medienwächtern "wettbewerblich höchst relevant", da das lineare Fernsehen so "systematisch an Attraktivität bei den Werbekunden" und damit Erlöse verliere.



Konzentrationsbildungen möglich


Die früheren Platzhirsche reagierten hauptsächlich mit Imitationen in Form eines neuen Schwerpunkts auf Eigenproduktionen, "eventisierten Serien und Reihen" sowie Live-Sendungen. Die Streaming-Dienste forcierten dabei Konzentrationen und verschärften den Wettbewerb um Programmrechte, etwa auch im Sport. Suchmaschinenbetreibern wie Google und anderen "Medienintermediären" attestiert die KEK gar eine "Tendenz zur Bildung von Monopolstellungen". Sie könnten so ein "erhebliches Meinungsmachtpotenzial erlangen". Gleichzeitig entwickelten sich wirtschaftliche Abhängigkeiten. Traditionelle Medienkonzerne könnten so ins Hintertreffen gelangen.



Untersuchungen deuten bereits darauf hin, "dass die digitale Transformation tatsächlich zu bedenklichen Konzentrationsbildungen führt", monieren die Experten. Trotz zum Teil enormer Reichweiten von Online-Angeboten sei die auf sie letztlich entfallende Nutzungszeit mitunter eher marginal. Dies bedeute, "dass die bestehende Angebots- und Anbietervielfalt im Online-Bereich von den Nutzern praktisch nicht oder nur sehr eingeschränkt wahrgenommen wird". Zudem seien etwa mit Google, Facebook und Amazon mächtige Unternehmen an Schlüsselstellen entstanden, die potenziell als Torwächter "großen Einfluss auf den Informationsfluss nehmen können".



Soziale Medien und Microblogging-Dienste wie Twitter werden dem Bericht nach parallel "zu einer wichtigen Informationsquelle für die Nutzer, aber auch für Nachrichtenagenturen und -medien". Sie böten aber auch die Möglichkeit zur Manipulation und Verbreitung von Falschnachrichten. Dies mache "professionelle journalistische Überprüfung, ergänzende Recherche, Auswahl, Einordnung und Erklärungen besonders wichtig".



Horizontale Konzentration


Die Vielzahl an Quellen und Angeboten im Internet dürfe nicht mit Vielfalt verwechselt werden, mahnte Gounalakis. Dahinter stünden oft Anbietergruppen, sodass eine "gewisse Gleichschaltung" stattfindet. Ähnlich wirke sich die wesentlich erhöhte "horizontale Konzentration" mit der Tendenz zu Gemeinschaftsredaktionen bei Tageszeitungen aus. Auch im Werbemarkt führe hohe Bündelung bei Anbietern von Werbeflächen und Media-Agenturen zu Problemen. Die KEK drängt daher darauf, künftig vor allem auch Streaming unter Vielfachsgesichtspunkten beobachten zu dürfen. Sonst gerate das gesamte Prüfmodell in eine Schieflage, betonte Gounalakis.



Ein erster Versuch der Länder für eine entsprechende Reform des Mediendienste-Staatsvertrags mit einem "Gesamtmarktmodell" sei zwar gescheitert, da einzelne ihren jeweiligen TV-Markt geschwächt gesehen hätten. Die Fernsehregulierung solle laut einem neuen Anlauf nun für eine Übergangszeit von bis zu fünf Jahren nicht angetastet und eine "sektorspezifische Prüfung" mit Durchsetzungsmöglichkeiten ähnlich zum Kartellrecht etwa mit Geldbußen eröffnet werden. Das Bundeskartellamt hat mit der jüngsten Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bereits ähnliche Rechte und auf dieser Basis jüngst zunächst Google der "erweiterten Missbrauchsaufsicht" unterstellt. Die Kartellwächter prüften aber Marktmacht im Sinne des Wettbewerbsrechts, "wie Medienmacht", verwies Gounalakis hier auf einen anderen Fokus.



Sicherheit für die Demokratie


Ein Anwendungsfall wäre auch für die KEK nach dem geplanten Modell das Google News Showcase, wenn hier einzelne Verlage bewusst ausgeschlossen würden. Die einschlägigen Arbeiten einer Gruppe der Rundfunkreferenten der Länder seien noch in einem frühen Stadium, berichtete der Medienrechtler. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und damit verbundenen Schwierigkeiten der medialen Gleichschaltung und einseitigen Berichterstattung in Russland sei Politik aber für solche Gefährdungslagen der Demokratie sensibilisiert und an einem Sicherungssystem interessiert. Die Novelle könnte so bis 2024 stehen, wenn alle mitzögen. Einen anderen akuten Fall wie die Zukäufe des Kirch-Konzerns 1997 mit ProSieben, Sat.1 und Premiere (Sky), der zur KEK-Gründung geführt habe, sehe er nicht. Generell sei die Möglichkeit der freien Meinungsbildung aus vielfachen Quellen ein Kernpfeiler der Demokratie.


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