Spiele als Sucht anerkannt - Kritik von Spieleverbänden

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Dezember 2017 beschlossen, dass die Abhängigkeit von Videospielen als offizielle Krankheit anerkannt wird. Dies bedeutet, dass Personen, die unter exzessivem Spielen leiden, in Zukunft medizinische Hilfe erhalten können. Allerdings sorgt diese Entscheidung bei Spieleverbänden für Kritik. Sie befürchten, dass die Anerkennung der Spielsucht als Krankheit zu einer Stigmatisierung von Videospielen führen könnte.


Erschienen ist dieses neue Verzeichnis namens »ICD-11« (ICD steht für »International Classification of Diseases«) am 18. Juni 2018. Konkret heißt es darin im Abschnitt 6C51 unter der Überschrift »Gaming Disorder«, dass es drei Kriterien gibt, die ein Suchtverhalten bei Videospielern auszeichnet:

"Spielsucht zeichnet sich durch ein Muster aus anhaltendem oder immer wiederkehrendem Verhalten im Bezug auf Videospiele aus. Sowohl online als auch offline kann sich dies wie folgt zeigen:

1. Beeinträchtigte Kontrolle über das eigene Spielverhalten (zum Beispiel in Sachen Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beginn oder Ende des Spielens).

2. Zunehmende Priorität für das Spielen, bis zu dem Punkt, an dem Gaming Vorrang vor anderen Lebensinteressen und täglichen Aktivitäten hat.

3. Weiterspielen, obwohl bereits negative Konsequenzen auftreten."

Außerdem wird dort erklärt, anhand welcher Anzeichen Ärzte und Betroffene Spielsucht erkennen könnten:

"Das Verhaltensmuster ist sogar so schlimm, dass es den Betroffenen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionen beeinträchtigen kann. Das Muster des Spielverhaltens kann entweder lang andauern oder in Episoden wiederkehren. Um eine Diagnose ausstellen zu können, müssen sich dieses Spielverhalten und andere Anzeichen normalerweise über eine Zeitspanne von 12 Monaten zeigen. Allerdings kann die für eine Diagnose benötigte Zeit auch verkürzt werden, sofern die Symptome besonders schwerwiegend auftreten."

Kurz gesagt: Wer so viel zockt, dass er seine Familie und seine berufliche oder schulische Karriere vernachlässigt und dabei trotz offensichtlichen negativen Auswirkungen auf das Privatleben nicht ans Aufhören denkt, der gilt in Zukunft als spielsüchtig. Allerdings trifft sowohl der Beschluss der WHO als auch die Definition der Gaming Disorder auf viel Gegenwind.

In Spiele wie World of Warcraft haben nicht wenige Spieler schon mehrere Hundert Stunden ihres Lebens gesteckt.

Experten und Verbände widersprechen der WHO

Bereits in den vergangenen Monaten haben sich zahlreiche Spielverbände und Psychologen gegen die Einstufung der Weltgesundheitsorganisation ausgesprochen. Zur Veröffentlichung des neuen Katalogs hat die amerikanische »Entertainment Software Association« (ESA) nun noch einmal gemeinsam mit weiteren internationalen Verbänden wie der EGDF, ESAC, IESA, IGEA, ISFE, K-Games und UBV&G erklärt, dass sie die Entscheidung der WHO strikt ablehnen. In dem gemeinsamen Statement heißt es:

"Wir sind besorgt, dass 'Spielsucht' nach wie vor in der neusten Version der ICD-11 der WHO aufgelistet wird, und das trotz erheblichem Widerstand von Experten aus Medizin und Wissenschaft. Die Beweise, auf denen die Aufnahme ins Krankheitsverzeichnis fußt, sind äußerst umstritten und nicht eindeutig. "

Im März 2018 erklärten zuletzt auch die Mitglieder der »American Psychological Association« (APA), dass sie keinen Grund dafür sehen, Videospiele als einzelne Störung herauszustellen. Stattdessen solle es eher eine generelle Kategorie für Verhaltenssucht geben:

"Der zwanghafte Fokus der WHO [auf die Sucht nach Videospielen] scheint in unseren Augen eine Antwort auf moralische Panik zu sein. Dies könnte nun sehr gut zu noch mehr Panik führen und außerdem zu dem Missverständnis, dass Videospiele mit Drogenmissbrauch verglichen werden können."

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Entschluss der WHO zwar offiziell, aber noch nicht final

Unbedingt anzumerken ist allerdings, dass der neue Katalog der WHO zwar nun erstmal feststeht, die aktuelle Version aber noch nicht final ist. Denn die neuen Krankheitsdefinitionen müssen erst noch im Mai 2019 von der Weltgesundheitsversammlung abgesegnet werden.

Dies ist zwar theoretisch eine reine Formalität, bis dahin können die einzelnen Abschnitte des Katalogs allerdings noch bearbeitet werden. Auch darauf weist die ESA via Twitter noch einmal ausdrücklich hin:

ESA's statement regarding the WHO's proposed video game disorder classification. For more, please visithttps://t.co/AQE0623Dolpic.twitter.com/GDSbuCTMxq

? The ESA (@theESA) June 18, 2018

Kritiker und Mediziner befürchten nämlich, dass Spielsucht künftig als Fehldiagnose ausgestellt werden könnte, obwohl der betroffene Patient eigentlich unter Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen leidet.

Studie aus dem Jahr 2016: Jeder 12. jugendliche Mann gilt als videospielsüchtig

Tatsächlich orientieren sich nämlich sowohl Ärzte bei ihren Diagnosen als auch Krankenkassen bei der Festlegung ihrer Kostenübernahmen an dem Krankheiten-Katalog der WHO. Deshalb war eine Überarbeitung des Verzeichnisses in der Tat nötig, denn der aktuell gültige ICD-10 (also die 10. »International Classification of Diseases«) stammt noch aus dem Jahr 1992.

Quelle: PCGamer

Falls ihr fürchtet, ihr selbst oder einer eurer Freunde könnte an Videospielsucht leiden, wendet euch bitte an euren Hausarzt und lasst euch oder den Betroffenen notfalls an psychiatrische Fachärzte überweisen. Alternativ gibt es in Deutschland zum Thema Internet- und Spielabhängigkeit noch einige professionelle Ansprechpartner:

- Die Ambulanz für Spielsucht der Uni Mainz

Telefon: 06131 177381

E-Mail: Sekretariate-pt@unimedizin-mainz.de

- Lost in Space - Beratung für Internet und Computerspielabhängige (Caritas Berlin)

Telefon: 030 66633959

E-Mail: lostinspace@caritas-berlion.de

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