Netzneutralität: Die abenteuerliche Stream-On-Verteidigung der Telekom

Die Deutsche Telekom verteidigt mit abstrusen Argumenten den Verstoß gegen die Netzneutralität bei ihrer Zero-Rating-Option Stream On. Die Bundesnetzagentur akzeptiert ein schlechtes Netz jedoch nicht als Grund für Datendrosselung.
Die Deutsche Telekom hat mit einer sehr gewagten Begründung die Datenreduzierung bei ihrer Tarifoption Stream On verteidigt. Das geht aus dem Bescheid der Bundesnetzagentur vom 6. Dezember 2017 hervor, den die Bonner Regulierungsbehörde inzwischen veröffentlicht hat. Demnach argumentierte die Telekom, dass die Bandbreitenreduzierung auf 1,7 MBit/s bei bestimmten Mobilfunktarifen "stabilisierend" auf mobiles Videostreaming wirke, da "davon ausgegangen werden kann, dass diese Übertragungsrate auch tatsächlich im Mobilfunknetz der Betroffenen zur Verfügung steht, ohne die wahrnehmbare Bildqualität zu beeinflussen". Nach Ansicht der Bundesnetzagentur hat die Telekom damit selbst eingeräumt, dass die Drosselung aufgrund des schlechten Netzausbaus und nicht aufgrund technischer Anforderung an die Videoqualität erforderlich ist. Aus dem 62-seitigen Bescheid geht hervor, wie intensiv die Bundesnetzagentur über Monate mit der Telekom über die Stream-On-Option verhandelt hat. Schon im Juli 2017 wurden dem Unternehmen die Bedenken der Regulierer schriftlich mitgeteilt und Gelegenheit gegeben, "eine netzneutralitätskonforme Lösung zu präsentieren". Auch telefonisch seien "Lösungswege" diskutiert worden.
Zudem ging es um die Frage, ob die Anfang April 2017 angekündigte Option gegen die EU-Roaming-Vorgaben verstößt, weil sie nur innerhalb Deutschlands gelten soll. Auf Wunsch der Telekom wurden die zunächst getrennt geführten Verfahren zusammengefasst und Anfang Oktober gemeinsam entschieden. Bis heute wehrt sich die Telekom dagegen, die Auflagen der Regulierungsbehörde zu erfüllen und droht mit der Einstellung des Angebots. So behauptet das Unternehmen dem Bescheid zufolge unter anderem, die vom Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek, engl. Abkürzung Berec) erarbeiteten Leitlinien zur Umsetzung der Netzneutralitätsverordnung seien nicht zur Auslegung der Netzneutralitätsverordnung geeignet. Zudem sei der Artikel 3, Absatz 3 der Verordnung, der Netzwerkmanagement aus rein kommerziellen Gründen verbietet, trotz des offensichtlich rein kommerziellen Netzwerkmanagements nicht anzuwenden.
Mit anderen Worten: Würde die Telekom die Videos bevorzugt transportieren, um eine gute Qualität mit höher Auflösung zu garantieren, könnte dies ein akzeptables Verkehrsmanagement darstellen. Nach Ansicht der Bundesnetzagentur darf jedoch eine bestimmte Qualität für bestimmte Nutzer nicht reduziert werden, um den gesamten Traffic eines Anbieters möglichst niedrig zu halten. Die Tatsache, dass die Datenreduzierung für Magenta-Eins-Kunden nicht gelte und im Tarif Magenta Mobil-L vorübergehend deaktiviert werden könne, spreche ebenfalls gegen ein technisches Erfordernis.
Dabei warnt die Bundesnetzagentur, die gelieferte Übertragungsrate "willkürlich" in Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Netzes zu bestimmen. "Ein Internetzugangsanbieter hätte es in der Hand, nicht nur bei Videoverkehr, sondern auch bei anderen datenintensiven Diensten die Datenübertragungsrate in Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Netzes zu drosseln und damit Innovationen zu bremsen." Damit würde "klar gegen Sinn und Zweck der Regelung zum angemessenen Verkehrsmanagement verstoßen".
Ein weiteres Problem: Für die Bandbreitenreduzierung reicht es nicht aus, die Informationen im IP-Header und im TCP-Header anzuschauen. Vielmehr müsse die Telekom auch Payload-Informationen wie eine URL und SNI auswerten. Der EU-Verordnung zufolge solle angemessenes Verkehrsmanagement jedoch keine Deep-Packet-Inspection (DPI) erforderlich machen.
Die Telekom hat zur Verteidigung ihrer Position zudem zwei Gutachten des Mannheimer Jura-Professors Thomas Fetzer vorgelegt. Das Netzneutralitätsgutachten wurde auch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht. Darin behauptet Fetzer unter anderem, dass es bei der vertraglichen Zulässigkeit von Verkehrsmanagementmaßnahmen lediglich darauf ankomme, ob die Rechte der Endnutzer wesentlich beeinträchtigt würden, wie sie in Artikel 3, Absatz 1 der EU-Verordnung genannt sind. Nach Ansicht der Bundesnetzagentur steht der Grundsatz der Netzneutralität jedoch nicht zur Disposition der Vertragspartner, das heißt zwischen Endkunden und Internetprovider.

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